Vor der Volksschule
In den 1960er-Jahren, noch bevor ich das schulpflichtige Alter erreichte, entflammte in mir der brennende Wunsch, lesen zu lernen. Schon damals träumte ich davon, die Beschreibungen und Preise in den Versandkatalogen von Quelle und Universal Versand selbstständig entziffern zu können. Diese frühen Ambitionen kennzeichneten den Beginn meiner Bildungskarriere, die sowohl von leidenschaftlichem Lernen als auch von schmerzhaften Hindernissen geprägt war.
Volksschule
Der Eintritt in die Volksschule brachte jedoch eine bittere Enttäuschung mit sich. Mein unbändiger Lernwille wurde durch die rigiden schulischen Methoden nahezu erstickt. Zu jener Zeit war es noch üblich, dass Linkshänder gezwungen wurden, mit der rechten Hand zu schreiben, was für mich zu einer Qual wurde. Die ständige Korrektur und der Druck führten zu einem erheblichen emotionalen Stress, der sich sogar körperlich äußerte – ich begann, ins Bett zu nässen. Meine Eltern überlegten ernsthaft, eine Schule in einer fortschrittlicheren Stadt zu finden, in der ich mit der linken Hand hätte schreiben dürfen, doch aus unbekannten Gründen blieb ich in der kleinen Dorfschule.
Ein neuer Volksschullehrer, den ich später bekam, richtete noch größeren Schaden an. Nachdem ich wegen Krankheit einige Tage fehlte, legte ich ihm eine Entschuldigung vor, die mein Vater unterschrieben hatte. Dieser Lehrer, den ich nur als tyrannischen Pädagogen beschreiben kann, verweigerte die Anerkennung der Entschuldigung und machte mich vor der gesamten Klasse lächerlich. Diese demütigende Erfahrung prägten mich nachhaltig und verursachten ein tiefes Misstrauen gegenüber Autoritätspersonen. Dieses gestörte Verhältnis zu Autoritäten begleitete mich durch mein gesamtes Berufsleben, was oft zu Konflikten mit Vorgesetzten führte und mich davon abhielt, selbst Führungsrollen anzustreben.
Trotz dieser negativen Erlebnisse blieb ich der Bildung treu und schloss mein Studium erst mit knapp 30 Jahren ab. Rückblickend erscheint es mir fast verwunderlich, dass ich nach all den schmerzhaften Erfahrungen in der Schule so lange in Bildungseinrichtungen verweilte.
Dennoch gab es auch positive Erlebnisse während meiner Schulzeit. In der Volksschule erlebte ich meine erste Verliebtheit, eine unerwiderte Liebe, an die ich heute noch gerne zurückdenke. Mein Verhalten in Gruppen wurde ebenfalls in dieser Zeit geprägt. Ich war ein kleines, zartes Kind, nicht sehr kräftig und überhaupt nicht rauflustig. Doch ich hatte stets einen Beschützer, der mich verteidigte, wenn ich attackiert wurde. Dieses Muster setzte sich auch im Berufsleben fort, wo ich immer wieder auf Menschen traf, die eine Mentorenrolle für mich übernahmen. Bei meinem ersten Arbeitgeber in der Bank und auch später erfuhr ich oft Unterstützung, auch noch einige Jahre vor der Pensionierung, als eine Kollegin mir massiv bei der Einarbeitung in eine neue Stelle half. Nun aber wieder zurück zu meiner Schulzeit.
Nach der Volksschule besuchte ich ein Jahr lang die Hauptschule in einem Nachbarort. Dort gab es einen Schüler mit demselben Namen wie ich, weshalb ich ein Jahr lang mit meinem zweiten Vornamen angesprochen wurde, was für mich als zehnjähriges Kind sehr verwirrend war.
Gymnasium
Mit der Einrichtung einer Busverbindung in die nahegelegene Schulstadt meldete mein Vater mich im dortigen Gymnasium an. Doch der alte Direktor bestand darauf, dass ich die erste Klasse erneut besuchen musste. Dies führte dazu, dass mir die Unterstufe leichter fiel, ich jedoch bis zur Matura der Älteste in der Klasse war, da ich ohnehin schon als Septemberkind erst mit sieben Jahren in die Volksschule gekommen war.
Meine Gymnasialzeit verlief eher unspektakulär. Der lange Schulweg war mühsam: Frühmorgens um sechs Uhr aufstehen, um den Bus in die 25 Kilometer entfernte Schulstadt zu erreichen, bei Wind und Wetter auf den Schulbus warten – das prägte meinen Alltag.
So zieht sich ein roter Faden von Höhen und Tiefen durch meine Schulzeit, von frühen Ambitionen und Rückschlägen bis hin zu Momenten des Triumphs und der Unterstützung, die mich bis ins Erwachsenenalter begleiteten.
In der siebten Klasse des Gymnasiums erlebte ich einen markanten Einschnitt, der mein weiteres Schul- und Lebensweg nachhaltig prägen sollte. Der Ursprung dieses Wendepunkts lag in meinem Lateinunterricht, der von einem Professor geleitet wurde, den man heute als sexistischen Proleten bezeichnen würde und der vermutlich längst aus dem Schuldienst entfernt worden wäre. Seine Bewertungen basierten nicht auf Leistung, sondern auf Sympathie. Gleichlautende Übersetzungen – häufig abgeschrieben von anderen – erhielten von ihm extrem unterschiedliche Noten. Diese offensichtliche Ungerechtigkeit stellte uns vor ein klassisches Dilemma: Hätten wir ihm die Arbeiten vorgelegt und auf die Diskrepanzen hingewiesen, wäre das Schummeln aufgeflogen.
Unglücklicherweise zählte ich nicht zu seinen Favoriten, was zur Folge hatte, dass ich die siebte Klasse allein wegen Latein wiederholen musste. Der enorme Zeitaufwand, den ich in dieses Fach investieren musste, ließ meine Leistungen in den anderen Fächern ebenfalls sinken. So wurde ich aus dem Klassenverband gerissen, dem ich sieben Jahre lang angehört hatte. Doch ich war nicht allein in dieser Situation; drei oder vier von uns mussten gemeinsam in die "neue" siebte Klasse wechseln. Diese Klasse zu bestehen, war wiederum relativ einfach, doch Latein bewältigte ich nur durch massives Schummeln. Hätten wir uns erwischen lassen, hätte dies unweigerlich zum Schulausschluss geführt. Noch heute, mehr als 40 Jahre später, möchte ich die genauen Details unserer Vorgehensweise nicht preisgeben.
Trotz dieser Schwierigkeiten erlebte ich während der mündlichen Matura einen Moment, der sich rückblickend als besonders erfreulich herausstellte. Neben anderen Fächern maturierte ich auch in Englisch bei einer jungen, sehr hübschen Professorin, in die ich vielleicht ein wenig verliebt war. Da ich fast 20 Jahre alt war und sie wahrscheinlich sehr schnell studiert hatte, waren wir altersmäßig kaum unterschiedlich. Nach einem Autounfall holte ich sie sogar mit meinem Auto aus dem Krankenhaus ab und brachte sie nach Hause, zusammen mit ein oder zwei Mitschülern. Ich war der einzige mit Führerschein und Auto – dem meines Vaters. Die mündliche Matura mit ihr empfand ich als heiter, insbesondere als ich ihr als Reisebüromitarbeiter einen Urlaub empfehlen sollte und ihr dabei Kinder andichtete.
Besonders befriedigend war jedoch die Religionsmatura. Unser Religionsprofessor war für die späten 1970er Jahre außergewöhnlich gut und verstand es, seine Schüler zu begeistern. Eine meiner Fragen drehte sich um die Begleitung Sterbender, ein Thema, das ich sehr schätzte. Der wirklich befriedigende Moment kam jedoch, als ich während meiner Antwort bemerkte, wie mein Lateinprofessor, der schräg vor mir saß, erstaunt aufblickte. In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Verwunderung und Anerkennung wider, als er meine eloquent und fundiert vorgetragene Antwort hörte. Dieser Augenblick war für mich von unschätzbarem Wert, da er mir zeigte, dass ich trotz aller Widrigkeiten in der Lage war, eine tiefgreifende und überzeugende Leistung zu erbringen.
Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, welchen Weg ich nach der Matura einschlagen würde. Dass ich studieren würde, war die einzige Gewissheit, die ich hatte. Doch mein Geographie- und Wirtschaftskunde-Professor weckte in mir ein Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge und öffnete mir die Augen für die interessante Welt der Ökonomie.
Bundesheer
Kurz nach der Matura erhielt ich meinen Einberufungsbefehl zum Grundwehrdienst beim Bundesheer. Nur wenige Wochen später begann diese neue, vollkommen unbekannte Welt, mein Leben für die nächsten acht Monate zu bestimmen.
Zu dieser Zeit gab es offenbar ein Gesetz, das einen gewissen Prozentsatz eines Einberufungstermins zur Miliz-Unteroffiziersausbildung verpflichtete. Da es in meiner Kaserne zu wenig Freiwillige gab, wurde ich dazu verpflichtet, was zur Folge hatte, dass ich zwei Monate zusätzlich Waffenübungen absolvieren musste.
Bei diesen Übungen gab es im Wesentlichen vier Situationen, die gefährlich waren und mit etwas Pech tödlich oder mit schweren Verletzungen hätten enden können.
Eine Situation war noch relativ harmlos: Bei Glatteis rutschte der Schützenpanzer in einen tiefen Straßengraben und blieb in einer extremen Schräglage liegen. Das hätte, wenn es ein wenig anders gelaufen wäre, mit Verletzungen enden können.
Die zweite Situation ereignete sich bei einer Nachtübung. Gut getarnt in der Dunkelheit, lag ich hinter einer Hausecke, als nur knapp neben mir ein großer Kampfpanzer um die Ecke bog. Ein wenig näher, und ich wäre unter der Kette zermalmt worden. Eine schreckliche Angsterfahrung.
Die dritte Situation geschah beim gefechtsmäßigen Scharfschießen. Als Gruppenkommandant ging ich mit scharf geladenem Sturmgewehr vor der Gruppe (Magazin angesteckt, aber nicht durchgeladen, also keine Patrone im Lauf). Plötzlich hörte ich hinter mir, wie einer meiner Soldaten in der Gruppe durchlud. Nur zwei kleine Bewegungen, ein kleiner Knopfdruck zum Entsichern und dann der Druck auf den Abzug – beispielsweise, wenn er stolpert oder es einfach in seiner Dummheit tut – und 30 Schüsse fliegen durch die Gegend. So laut habe ich selten jemanden angeschrien, er soll gefälligst aufpassen, was er tut. Ich muss niemanden mit einer geladenen Waffe hinter mir haben!
Die vierte Situation ereignete sich wieder beim Scharfschießen. Die großen Kampfpanzer sollten mit scharfer Munition auf einer Schießbahn weiter entfernte Ziele bekämpfen (dabei kommt es vor, dass ein Schuss zu kurz reicht und nicht bis zum Ziel fliegt und dort detoniert). Wir mit unseren Schützenpanzern sollten eigentlich auf einer benachbarten Schießbahn in Richtung der zu bekämpfenden Ziele fahren. Durch einen Fehler in der Befehlskette fuhren wir jedoch auf derselben Schießbahn, auf der die Kampfpanzer feuerten. Als der Fehler bemerkt wurde, verließen wir so schnell wie möglich die Schießbahn. Um die Gefahr zu verdeutlichen: Es gab schon Fehlschüsse bei solchen Übungen, die über den Truppenübungsplatz hinausschossen.
Eine der schlimmsten Erfahrungen machte ich bei einer Übung nach dem Grundwehrdienst. Ich war schon Panzerkommandant und führte damit eine Gruppe Grundwehrdiener. Diese waren konditionell um einiges besser als ich, da sie mitten im Training waren, ich jedoch nicht mehr. Wir sollten einen langen Nachtorientierungsmarsch machen. Ich schlug der Gruppe vor – Befehlen war schwierig, weil der Befehl von oben kam –, dass wir ein paar Kilometer in den Wald gehen, uns dort verstecken, die Zeit abwarten und dann zurück in die Kaserne gehen. Ich würde dann sagen, dass ich mich mit der Gruppe verirrt hätte und die Verantwortung übernehmen. Die Grundwehrdiener waren jedoch so eingeschüchtert vom Grundwehrdienst, dass sie sich selbst mit dem Bestechungsversuch einer Kiste Bier nicht überzeugen ließen, sich eine ruhige Nacht zu machen. Es war frustrierend, dass ich mich nicht durchsetzen konnte und dass die Grundwehrdiener so eingeschüchtert waren. So hechelte ich mit heraushängender Zunge durch den Wald.
Von den vielen sinnlosen Schikanen brauche ich kaum zu berichten; auch diese habe ich dort natürlich erlebt. Zwei Ereignisse sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Eines war schon am ersten Tag nach dem Ausfassen der gesamten Ausrüstung: Mir wurde ein provisorischer Spind zugeteilt. Da dieser nur vorläufig war, war ich nicht sehr sorgfältig beim Einräumen. Kaum fertig, kam ein Unteroffizier vorbei, schrie mich an, was das solle, kippte den Spind nach vorne, sodass alles auf dem Boden lag. Also musste ich alles wieder einräumen, und kurz darauf wurde mir der endgültige Spind zugeteilt, also musste ich wieder aus- und einräumen. Vor dem Abrüsten gab es noch eine Schikane, die mir in Erinnerung blieb. Mitten in der Nacht wurde ein sogenannter "Maskenball" veranstaltet. Das sind Alarmübungen, bei denen je nach Befehl in voller Uniform oder mit vollgepacktem Rucksack innerhalb kürzester Zeit auf dem Kasernenhof angetreten werden musste. Da dies den Offizieren zu langsam ging, wurde das mehrmals wiederholt. Absolut sinnlos, reine Schikane oder Sadismus.
In Erinnerung blieb mir auch der Kasernenkommandant, ein Oberleutnant und Alkoholiker, der uns auch bei klirrender Kälte in die Gegend zum Üben schickte, damit er seinen Rausch in Ruhe ausschlafen konnte.
Auch diese Zeit ging vorbei. Die Übungen während des Studiums wurden jedoch mit einem Taschengeld bezahlt, was meine nicht reichlich gefüllte Studentenkasse etwas aufbesserte, was zumindest etwas Positives war. Mit Ende des Studiums hatte ich auch alle Tage abgeleistet, sodass es im Berufsleben keine weiteren Störungen mehr gab.
Nur während der Jugoslawienkriege wurde das Thema für mich nochmals relevant. Als Milizsoldat hätte ich zum Grenzschutz eingezogen werden können, und es gab an der Grenze einige gefährliche Situationen, die ich zum Glück nicht aktiv als Soldat erleben musste. Diese Möglichkeit war für mich mit Angst verbunden.
Meine tiefe Abneigung gegenüber Waffen hatte ich schon damals. Einmal beim Scharfschießen sollte ich Ziele auf der anderen Seite der Straße bekämpfen. Ich lag im Straßengraben und schoss auf diese Pappkameraden in einiger Entfernung. Genauer gesagt, ich sollte schießen, denn unbewusst schoss ich häufig in die Erde vor mir. Bis mich ein Offizier anschrie, was das solle, der Feind sei doch nicht direkt vor mir. Diese tiefe Abneigung und Abwehrhaltung gegenüber dem Schießen auf Menschen hatte ich immer wieder bei den diversen Schießübungen. Ich will nicht auf Menschen schießen, töten oder verletzen. Das war auch während der Jugoslawienkrise ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt hat.
Studium
Mein Umzug nach Wien war nun der Einstieg in ein neues Leben. Im Nachhinein habe ich mich öfters als Pendler zwischen unterschiedlichen Leben bezeichnet. Bis hier war es ein Leben geprägt vom kargen, kalten Waldviertel, mit eher verschlossenen Menschen, tief konservativ und (schein-)religös und bildungsfern.
Nun begann eine Gegenströmung sich in mir breit zu machen, dauerte aber ein oder zwei Semester und hatte mehr mit einer Beziehung zu einer weit links orientierten Freundin zu tun, die Politikwissenschaften studierte.
Über eine gewonnene Reise nach Budapest lernte ich meine erste Freundin in der Studienzeit kennen. Durch sie wurde meine Interesse für Politik und ganz speziell für Entwicklungspolitik geweckt. Es gab Nächte mit langen Diskussionen über Gott und die Welt. Der gesamte Freundeskreis war sozialengagiert und kapitalismuskritisch. Zu dieser Zeit hätte ich mir niemals vorstellen können, in einer Bank oder Versichernug zu arbeiten, das waren für uns klar die Ausbeuter und Profiteure auf Kosten der Masse der Bevölkerung.
In dieser Zeit entstand auch mein Interesse für die "Dritte Welt", wie man es dazumals nannte. Ich habe dann auch meine Diplomarbeit über "Traditionelle landwirtschaftliche Betriebssysteme" geschrieben.
Mit der nächsten Freundin habe ich quasi Psychologie mitstudiert, ich habe fast die gleiche Literatur gelesen, die sie für die diversen Prüfungen lesen musste.
Der dritte Bereich, der mich und mein Berufsleben geprägt hat, war eine Seminararbeit über die Systemtheorie. Die Arbeit beschäftigte sich mit dem Lufterkehrssytem, aber die Denkweise dieser Theorie mit der Komplexität, der Kompliziertheit, also der Vielfalt der Elemente und deren Beziehungen und Sub- und Metasystemen, hat mich immer wieder im Leben geleitet.
Später kam auch noch der Konstruktivismus hinzu, die Literatur von Watzlawick habe ich verschlungen.